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coROMArrest XIV


Kunst von sc.Happy
inseriert: 29.03.20
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Den lieben, langen Tag schon habe ich einen Ohrwurm im Hirn. Er gehört zu mir, wie mein Name an der Tür und ich weiß, er bleibt hier. Nie vergess´ ich unseren ersten Tag, denn ich fühlte gleich, das er mich mag, na na na na. Ist es wahre Liebe, die nie mehr vergeht oder wird die Liebe vom Winde verweht, steht es in den Sternen, was die Zukunft bringt oder muss ich lernen, das alles zerrinnt? Ein Lied aus besseren Zeiten, als wir jung und eng umschlungen es lauthals gesungen. Wilde schöne Partys waren das, wir alle so voller Tanz- und Lebenswut. Jetzt zieht das Lied auf verstörende Weise mehr mit brutaler Hand an mein Ohr, als des es drinnen erklingt. Noch hat der Text nichts mit meinem momentanen Zustand zu schaffen. Bald schon wird er auf einen geliebten Menschen zutreffen, der ihn klagend ausstößt. Heute hat hier ein Stipendiat Geburtstag, feiert ihn im engsten Kreis. Vorerst die letzte Möglichkeit seine Liebsten um sich zu haben, die demnächst nach Deutschland zurückfliegen können, wollen, sollen, dürfen, müssen. Schwer zu sagen, wo sie besser aufgehoben sind, hier im Epidemiezentrum Rom oder daheim. Ich eröffne den Morgen mit dem Gefangenenchor, wie er mir als Videobotschaft gemailt worden ist. Da sieht man den Dirigenten und alle beteiligten Sänger, Musiker bei sich Zuhause vorm Bildschirm agieren. Zusammen sind sie dieser einzigartige Chor, der einem mit voller Wucht als Aufschrei, Hoffnungshymne, Trostbonbon, Danksingung, Mut- und Muntermacher unter die Haut fährt. Für alle, die vom einstigen Normalleben abgeschnitten mit der unwirklich anmutenden Situation zurechtkommen. Im Gedenken an frühere Zeiten, die nicht mehr zurückkommen werden. Den Dingen gewidmet, die eben noch ganz normal waren, heute unmöglich sind und zu fehlen beginnen. Kleinigkeiten des Alltages, die nicht ins Gewicht fielen, steigern jetzt die Sehnsucht nach Entwarnung und Rückkehr ins gute, alte, Leben. Ungenutzt lehnen Fahrräder vor unseren Türen. Drei Fussbälle liegen in der Kuhle eng beisammen, kein Fuß, der nach ihnen treten will. Hinterm Atelier warten zwei schöne, über zwei Meter hohe Stämme der Zeder, die, an die zweihundert Jahre alt und innerlich morsch, in den Zeiten ohne Virus gefällt werden mussten. Kurz vor dem Ausbruch aus ihrer Rinde geschält, wollen sie nunmehr von Künstlerin Andrea Freiberg bearbeitet werden. Die aber kann mit ihrer Kettensäge, aus Rücksicht um die ringsum in den Wohnungen festgesetzten Anwohner, nicht aktiv werden. Statt im Blaumann mit Brille und Ohrenschutz versehen die Säge zu schwingen, bleibt ihr nichts weiter übrig, als mit ihren Händen Däumchen zu drehen oder an der Staffelei zu sitzen und zu malen. Mir wäre der kreischende Sägesound, mit dem sie den Stämmen beikommen sollte, lieber, als diese Stille um uns, die täglich lauter wird.