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bosch sehen +


Kunst von sc.Happy
inseriert: 29.04.19
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Unweit des Platzes, an dem mein Freund Mattis wohnt, an seiner engen Gasse hinter der Chiesa Santa Maria Formosa vorbei, flink über die Brücke, bin ich linkerhand durchs etwas nach hinten versetzte Eingangstor zum Palazzo Grimani gelustwandelt. Ja, ich hatte Lust auf Bosch. Und dann drängt sich mir Architektur auf. Schöner Torbogen, durch den ich über helle Steinplatten schreite. Ich sehe den Stuckkranz in der Mitte einer Halle, die Pferde, den zweirädrigen Wagen, die nackten Peitschenschwinger, sehe aber auch die Muschelsymbole und schwarzen Köpfe, Ranken, Reben, Blätter, Türen, Schlösser, den Kamin, die Gesichter an der Wand, das heilige Paar, das von der Kuppel herunter an einem Faden hängt; ein Mensch von einem Vogel in Schwebe gehalten. Tage könnte ich hier damit verbringen, allein nur die Decken zu betrachten, ihre Balken und Verzierungen. Wozu nur so viel Schönheit erschaffen? Dieser üblen Menschheit zum Gefallen? Wäre es nicht besser für mich mehr Kenntnis von den Bäumen in dieser Welt zu erlangen als sich diesen Kitsch anzusehen? Ist schön anzusehen, aber deswegen bin ich nicht hier, ich will Bosch sehen. Und schon trete im ersten großen Saal vor das erste Triptychon. Visione dell´Aldilà. Sehen und schweigen. Ich finde auf dem Hügel links oben am Rand das schwarze Schwein, aber nicht den Raben, den ich in Erinnerung habe, als Jugendlicher im großen Bosch-Buch gesehen. Und finde ihn auf dem einzelnen Ast, eine Birke oder? Man braucht schon eine Lupe, den Raben zu sehen, sage ich mir, und trete näher ans Bild. Dort, sieh nur genau hin, da, da, sage ich mir, will ihn mir zeigen, strecke meinen Zeigefinger aus, um mich selbst auf ihn zu verweisen - und löse damit einen Alarm aus. Sofort sind wir von Wachpersonal umstellt. Die Türen werden geschlossen. Die Sache klärt sich nicht so rasch auf. Ich werde erst nach einiger reichlichen Zeit für unschuldig erklärt, der Vorfall als harmlos eingeschätzt. In gebührendem Abstand beschatten mich fortan drei Aufseher, wechseln mit mir konsequent die nächsten zwei Säle, zuerst auf Trittico di Santa Liberata zu. Dieses Bild von einer Stadt, die brennt und unterhalb sind winzig klein Waschweiber zu ahnen. Ein klatschnasses Wäschestück ist eindeutig als Laken auszumachen und über die Brückenbrüstung gewuchtet worden. Es tropft regelrecht und wird eben mit Kernseife und Bürste rein gerubbelt werden. Alles nur winzig klein (Millimeterbruchlängen) zu sehen und die Frage: Wie malt man so etwas nur? Reicht da ein Haarpinsel aus? Rechts in der Mitte sitzen sie beisammen, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Raben, der siebente hockt auf dem Rücken von Meister Schwarzpelz, dem klapprigen Bären. Meine Bewacher folgen mir in den letzten Saal, Trittico degli Eremiti. Sehen mit mir verschiedene Männer und Roben, allerlei Getier und Phantasiegebilde an. Groß und winzig, schön und hässlich kreucht und fleucht es in allen drei Teilen. Ein Mönch am Pult. Eine Papierolle hängt vom Pultrand herab. Mit einiger Kunstfertigkeit und Mühe ist da bestimmt zu lesen, was der Mönch dort durchgestrichen hat. Sie geleiten mich zum Ausgang und bleiben dort dann solange stehen, bis ich mich nicht mehr auf dem Villengelände befinde. Verboschte Welt. Abends gehe ich groß essen und denke: Ganz schön abgehoben, dreier kleiner Triptychen wegen so viel Geld auf den Kopf zu hauen, aber das bleibt dann wohl für immer oder?