Heute ist es geschafft:
Wir haben 09-09-09 und sollten uns freun.
Am besten drauf einen trinken:
Rezept für Hemingway-Drink
1 Drittel Absinth*
1 Drittel Gin
1 Drittel Bourbonwhisky
In den Gesprächen mit dem Grossvaters über die Fremdenlegion tauchte das schreckliche Wort Malaria auf und ein Mittelchen gegen den drohenden Tod. Die Brenner wedeln geheimnisvolle Rezepturen. Und Absinth entsteht.
Meine Freundin Bianca schwärmt unaufhörlich von Toulouse-Lautrec und meint nicht bloss seine gemalten Bilder. Martin fährt jedes Jahr mit einem gierigen Lächeln ganz frankfrei und unbedingt solo in die Normandie oder Bretagne. Im Baskenland blüht der Stierkampf. Schweden und Polen sind bekannt für kalte wie heisse Getränke. In den Bergen zwischen Schweiz und Frankreich ist es karg wie in den Anden. Thujon sagt man eine psychoaktive Komponente nach. Wermut ist bekannt von den berühmten Brüdern und schaffte zeitweise den Sprung in bessere Kreise.
Libanon hat die Zeder, Brasilien seine Kaffeebohne, Irland die Harfe. Van Gogh hat von all dem nichts geahnt, sondern Farbe gegessen und Terpentin getrunken und schliesslich sich an seinem Ohr vergangen. Wäre Absinth im Glas gewesen, seine Verstümmelung bliebe aus oder von mehr Geschmack begleitet. Er sässe zurückgezogen mit sich selbst in Grübelei verstrickt im dunklen Hinterstübchen und könnte sich nicht hinreichend motivieren, den Pinsel zu schwingen. In diesem Fall haben Terpentin und Farbkrümel historische Bedeutung erlangt.
Eine halbe Generation später haben sich Degas, Rimbaud, der Joseph Conrad, Strindberg, der Oscar Wilde, Kubenpicasso und selbstredend unser aller Flintenhemingway geopfert. Sie erst haben das Heilmittel der französischen Armee von dem der Grossvater erzählte, salonfähig gemacht. Die Boheme hat sich vergeblich an den 122 Millionen Liter pro Jahr, die in der Truppe vor der Jahrhundertwende geschluckt wurden, versucht. Statt wie die lebensbejahenden Bauern der vergangenen Epochen sich das Zeugs gegenseitig hinter die Binden zu kippen, flüchteten die Edelabsinther mit ihrer grünen Fee zu grünen Stunden, um sich nichts anzugehen.
Absinth wurde offiziell ausserhalb Deutschlands gereicht. Wir Deutschen sind durch Eisbeinsauerkraut und Weisswurschtrodler bekannt geworden. Was uns seit Jahr und Tag in der Welt ein besonders Erscheinungsbild eingehandelt hat sind Bierbäuche, Ordnung, Gamsbärte, Disziplin und Fussball.
Aus dem Jahrhundertschlaf befreit boomte der Absinth Anfang der Neunziger, beflügelt durch gemeinsame Europapläne von Lissabon, Barcelona über London wie Rinderwahn und Klauenseuche auch nach Berlin. Brav wie der Deutsche sich allen völkerverbindenden Wellen stellt, versuchen unverbesserliche Ernstjüngerianer, hiphope Absinth (unbedingt knallgrün) mit Redbull mixende Kiddies. Schon trifft man sich in schöner Regelmässigkeit unterhalb der Kasematten beim Absinth-Schach, Absinth-Angeln oder quetscht im Wettbewerb Engelsstaub aus Absinth-Kork. Dass sich die Augen im unendlichen Erfüllweiss verlieren und das Getränk so richtig kulten kann.
Wie stünde Deutschland da, wäre in den Zwanzigern Absinth nicht verboten und milchiger Sud anstatt prickelnden Gerstensaft Nationalgetränk geworden?
Die höchst unmotivierten, jungen Absinther liessen sich nicht in Reih und Glied zwängen und jubelnd in verschiedene Himmelsrichtungen hinaustreiben.
Rosinenbomber, Petticoatträgerinnen, Twisttänzer, Nylonbeutel, Wirtschaftswunder Ost und West, Arbeiteraufstand, Mauerbau und Mauerfall hätte es nicht gegeben. Terrorismus, Jugendfestspiele, Singebewegung und die ZDF-Hitparade ebenso nicht den ehrenvoll boxenden Wolfgang Behrendt. Selbst Gustav Heinemann hätte es nicht gegeben. Oder Leute wie Hossahossa Gildorex. Meysels Ingelchen. Gottschalktom und Günni die Jauche ergössen nirgendworüber ihren medialen Sabberschleim. Der Ballermann wäre ein unscheinbarer Tapasstand in der Gegend von Paderborn. Uns aller Tiroler Anton wäre esoterischer Handaufleger. Apres Ski-Parties, pochender E-Werkkrach, der kölnmainzdüsseldorfer Karnevalswettstreit tauchten nicht mal nach der Rechtschreibereform auf. Es lohnte keine Flugschau, kein Turn und Sportfest, nicht der geringste Massenmarathon und sonstige Manifestation mangels aufmarschwilliger Menschenmeute. Die Love-Parade fände in der Familie statt. Die RAF und eine grüne Bewegung wären nie aus ihren Muchtelbuden hervorgetreten. Links und Rechst starrten ununterbrochen hohle Luftlöcher in vergilbte Räuchergrotten.
Zum Glück ist es nie so weit gekommen! Deutschland wurde 1954 gegen Ungarn Fussballweltmeister. Und wiederholte den Erfolg 1974 gegen Holland und 1990 gegen Argentinien, weil Absinth immer noch auf dem Index stand. Helden wie Fritz Walter, Uwe Seeler und Klinsmann gab es, weil viel zu wenige Deutsche ein unwürdiges Dasein als anonyme Absinthtrinker fristeten. Der allgemeine Zerfall Deutschlands Sportart Nummer 1 begann 1992 mit der Aufhebung des Absinthverbotes. Edelkicker wie Hamann, Bierhoff, Litbarski und Ziege wird gemunkelt, flüchteten vor aufkommenden Wahnwitz ins Ausland. Heikle, nur im Rauschzustand ausgerufene Trainerernennungen riefen Stielike, Daum und Sir Erich Ribbeck auf den Plan. Leute wie Arsene Wenger, Trappatoni und Kevin Keegan lehnten auf Grund grüner Nebelschwaden über dem deutschen Fussballbund charakterfest ab.
Eigentlich müssen wir Deutschen jubeln, kein Volk stiller Anistrinker zu sein. Wir werden weiter Bockwurst mampfen und Kartoffelsalat bereiten, mit Schnaps und Bier anstossen und Volksmusik hören. Es ist nun mal unmöglich, ein solch gefestigtes mitteleuropäisches Volk zum absinthbegeisterten Wabbelpudding zu domestizieren. Das haben nicht einmal die traditionellen Herstellungsländer zustande gebracht. Von einer Region mit einem Absinthkork im Staatswappen ist bisher nichts bekannt.
09/09/09