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19 HELLE HÖLLEN 19 HORIZONTE. nach der eins die zwei die
drei die vier die fünf


Kunst von sc.Happy
inseriert: 07.05.10
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NEUNZEHN mal HORIZONTE

eins : als betrachter
Eine Art Sondergastspiel des Meeres, wie die Kreide in der See vielgestaltig mäandert, sich Wasser und Kreide in unbeschreiblichen Linien, Flächen und verschiedenen Strömen bedingen. Das Erlebnis für den, der es erleben darf. Die Kreide färbt ihre See bis nahe an den Horizont hin zu einer weisslichen Fläche, dass dort nur noch das schmales Band Blau übrig bleibt. Das Blau, das den Unterschied des Meeres zum Himmel macht. Tagelang zu bestaunen, dieses Highlight unter den zahllosen Schauspielen der See, ehe sich die Wasser wieder entkreiden, die See an Farbigkeit gewinnt.

zwei : als einer, der reimt
sie kommt aus frankreich
ist in montpellier zuhaus
und zieht sich gleich
im garten nackig aus
wo sie bis abends sonnt
mit blick auf die ori zont

drei : als partygast
Und immer wieder hat man dieses Arkona vor Augen, die an vielen Stellen so schneeweisse Küste, die hoch auf, stolz und strahlend ans Meer reicht, sich vor dem Horizont türmt und dann doch dem Meer den weiteren Raum überlassen muss. Ein Erlebnis sondergleichen, sich im frühen Dunkel zu den hundert Meter hohen Felsen über dem Meeresspiegel aufmachen, von oben aus dem Aufgang der Sonne beiwohnen, die ersten Sonnenstrahlen geniessen, sie mit frohem Jubel und einem mitgeführten Champagner begrüssen.

vier : als flüchtiger
Der Unterschlupf mitten im Wald. Man sucht sie nicht. Sie ist nicht als vermisst gemeldet. Zwölf Jahre, zwanzig Jahre, ihr Leben lang lebt sie im Wald, in einem von eigener Hand geschaufeltem Quartier, mit Stroh ausgefüllt, mit Taschenlampenlicht versehen. Die Frau, die sich im Wald vergräbt. Erde zu Erde. Baumstamm neben Baumstamm bis die Baumstammdecke gefertigt ist. Das Leben unter der Erdoberfläche. Das Leben unterm Waldhorizont.

fünf: als liebesbremse
Ich sitze mit einem Mädchen an der Steilküste. Wir haben uns auf Stunden mit unseren Fingern verhakelt, sind mucksmäuschenstill, starren notorisch und bis zur Halsversteifung auf den Horizont, den anschliessenden Sonnenuntergang, der ein anhaltender, zäh ablaufender Ewiguntergang ist. Ich zucke nicht. Ich frage mich nicht wie das Mädchen an meiner Seite die Halssteife erträgt. Wir erheben uns. Das Mädchen stösst mich von sich. Ich höre ihr herzhaftes Lachen und weiss: ich bin ein Spätentwickler, was die Liebesbelange angeht, eine Null.

sechs : als 68er
Ich bekomme das Tonbandgerät geschenkt. Das neuste Modell. Ein Gerät an die Wand anzubringen. Die Tonbänder abspielbar vor allem in der Horizontalen. Ich bin stolz auf mein megafetziges B/Sonstwas 93, das keiner der Jungs aus meiner Clique besitzt.

Sieben : als wehrdienstverweigerer
Hinter mir das militärische Sperrgebiet. Vor meinen Augen nebliger Dunst, dass da kein Horizont auszumachen geht. Der Tag hüllt sich in dieser unvergesslichen, so abnormen Trübung, die nicht Tagesanbruch, nicht Tagesausklang ist, eher die Vorstufe zur Hölle, wie ich den Zustand nennen möchte, wäre das Bild nicht zu abgegriffen und auch nicht stimmig genug. Belassen wir es also bei Vorstufe und Hölle. Höllenvorstufung.

acht : als leseratte
Die Bücher erregen sich von ihren Standorten her ungeniert und offen auf mich zu. Sie wispern erst und zischen dann wie Katzen. Sie fauchen und sprechen von Vorliebschaft, Hundsgemeinheit, Irrsinn. Sie benehmen sich als ein böser Mob. Sie sind mir nicht wohlgesonnen, diskutieren untereinander einen Standortwechsel, zu anderen Horizonten, zu wirklichen Buchliebhabern, die sie betten und schätzen und mit den Fingerkuppen zärtlich behandeln.

neun : als aussteiger
Ich muss das Meer wieder auf Meeresspiegelhöhe erleben. Ich muss bei den Steinen sein, im kalten feuchten Sand sitzen, die Hände tief in den Sand gegraben, den Horizont ausmessen, das traurige Gefühl von Verlassenheit erlangen, das mich nur an einem Ostseestrand ergreift, zu haltlosen Tränen hinreisst, kaum dass ich mit meinem Gesäss kaltfeuchten Sand berühre; wieder der kleine Junge von damals sein, wenigstens der Simulation einer (meinetwegen nur erdachten) Wahrheit nahe kommen.

zehn :als waise
Mich treibt es in andere Länder, die Muttersprache zu vergessen; in die Wüste, die Muttersucht in Wüstensand zu vergraben; übers Meer, auf den Horizont zu, die Mutterlast über die Horizontlinie zu kippen. Ich kann keine andere Mutterbilanz ziehen als mich von der mutterlosen Vergangenheit zu befreien. Ich reise herum meint, ich lenke mich ab.

elf : als nutte
Eine Gedenkminute für all die Mädchen, die sich als Monroe träumen, im Horizontalgewerbe am Ruhm vorbei werkeln, für alle diejenigen, die Anlagen mitbringen und nie den richtigen Stecker finden.

zwölf : als angsthase
Er sprach mit Räubern, die am Horizont auftauchten, den Pfeil am Bogen, auf einen Bösewicht gerichtet, der einen Hilflosen am Wickel hatte. Er war unter der Bettdecke allein. Auf sich zurückgezogen, sass er die halbe Kindheit am Bodenfenster. Morgentiere beobachten. Boote, die erhaben am Horizont klebten.

dreizehn : als spaziergänger
Ich stecke die Hände tiefer in die Taschen. Ich pfeife etwas Klassisches. Ich sage mir: Tabu bleibt Tabu. Die Grenzen können von mir noch später verschoben werden. Und der Horizont sonnt sich in meinen Worten. Jedenfalls habe ich so ein Gefühl.

vierzehn : als matthias BAADER holst
Der Ring um ihn erwärmt sich. Der Zuschauerring fängt Feuer. Mit nichts weiter als Gestik hat der Magier sein kleines Publikum entzündet. Der Herr der brennenden Regentropfen zuckt am Boden. (Eine wichtige Komponente in BAADERs Vortragskunst ist das Zu-Boden-gehen. Zu Boden gehen meint, sich in die horizontale Ebene zu begeben, eins zu sein mit den ebenen Dingen, auf die man sonst herumtritt/herabschaut. Wer zu Boden geht, kehrt in den Mutterschoss zurück.) Alles an ihm wird Maulwurf. Die Geste, das Wort, der leiseste Atem - alles hebt den Beton an. Risse entstehen, die Zeichen sind für das Vorhandensein von Ausdruck.

fünfzehn : als spassvogel
Am Himmel stehen die Blumen wie Sterne
fest angeschraubt - Und Blumen haben
alle Kinder so gerne, weil stramm sie stehn,
sich nicht versputen. Die Frage steht in Ferne:
Wer hat (in weniger als siebzehn Minuten)
den bitterbösen Mond vom Horizont geklaubt

sechzehn : als vegetarier
Ich mache mir nichts aus Schaschlik. Und ich gehe nicht weiter als bis zum Alexander-Platz. Ich bin ein sehr schlauer Wolf geworden. Einer, der brav die Weide vor dem Horizont abgrast. Dass die Lämmer mit mir blöken.

siebzehn : als regimegegner
Der Vorplatz wimmelt. Das Brandenburger Tor schwieg. Das grobe Lied vom Endsieg (einst unter seinem Bogen geschmettert) ist verklungen. Es raunt vielleicht weit hinter der Grenze irgendwo in Deutschland weiter. Unterm Horizont gedeiht Lüge. Die Ernte ist eingebracht, sage ich. Die Reste auf dem Acker verfaulen rasch. Die Bauern gönnen sich wieder Zeit fürs Vieh, für Gesang. Denn irgendjemand singt ja immer hierzulande.

achtzehn : als geretteter
Ihr bösen Nebel, ruft einer von uns, lasst besser sofort das Treiben sein. Zieht ab! Hört auf, hinterm Horizont mit den anderen Booten Spuk zu veranstalten. Die Möwen zerfetzen sich in der Luft. Sie kämpfen gern; so oft sie können.

neunzehn : als amerikabesucher
Wir haben es auch an einer Tankstelle versucht. Wir sassen da für Stunden herum. Wobei die Polizei dann kam, unsere Papiere vorgezeigt haben wollte und meinte, wir sollten verschwinden. Ich trollte mich mit meiner Freundin. Am Abend verweigerte sie sich mir. Sie wäre, sagte sie, weil uns die Polizei verscheucht hatte, geistig nicht hinter den gemeinsamen Horizont gekommen, sagte sie. Ich nickte und nickte ein.

wird nicht fortgesetzt, kommt was anderes nach dem anderen