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THE VALLEY OF THE SHADOW. : bildband von miron zownir


Kunst von sc.Happy
inseriert: 13.01.11
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Shadow, said he,
Where can it be-
This land of Eldorado?
Over the Mountains
Of the Moon,
Down the Valley of the Shadow.

Die Ballade Eldorado von Edgar Allan Poe stammt aus der Periode des Dichters, in welcher er das Schreiben vernachlässigt hat, um sich der Anderswelt, den Tabus zu widmen. Das Gedicht bekennt sich zu den lebenslangen, lebensgefährlichen Irrungen und Wirrungen aller Suchenden, suchen und versucht sein in aller Schärfe, die ritterliche Person, die das dunkle Eldorado zu Lebenszeiten erreichen will. Kaum ist der Suchende im Tal der Schatten angelangt, sucht er nach dem Ausweg, der nur durch das Tal der Schatten führt. Von all dem, was er sieht, möchte er unbeschadet bleiben, heil hinaus zu geraten. Das Ergebnis der Suche ist schliesslich die Flucht vor dem Ziel. Weg nur weg von all den fressenden Schatten. Edgar Allen Poe verwendet den Begriff shadow in mehreren Bedeutungen. Shadow meint zum einen den von Licht vergessenen Lebensbereich und ist natürlich auch die Metapher für Schwermut. Shadow meint darüber hinaus den nachtdunklen Geist, den man besser nicht erweckt und shadow ist das Reich der Toten, die sich fortwährend wachrufen, im Tal der Schatten agieren.
Soweit zu E. A. Poe. Miron Zownir ist der fotografierende Schreiber, die schreibende Fotolinse. Das Wort zur Beschreibung dessen, was Miron Zownir mittels seiner Kunst aufzeigt, kann nicht das Wort shadow sein. Besser man bedient sich der Worte krass und shadow und fügt als dritten Begriff zur Kennzeichnung Zownirs das Wort Genie an. Ob wir nun seine Bilder mögen oder sie schwer erleiden, sie sind ungewöhnlich. Man hat sich an sie zu gewöhnen und wird dann auch reichlich beschenkt. Die Hürde zu seiner Sicht kann nur der Betrachter überspringen. Viele Pferde werden scheuen, weil es bei Zownir eben nur dieses entweder vor dem oder und sonst gar nix gibt. Deswegen allein soll man Zownir einen aussergewöhnlichen Menschen nennen, der sich einen Lebenstraum durch Draufsicht und Darstellungen dessen verwirklicht hat, wo wir nicht sein mögen und am liebsten wegsehen. Es gelingt nur wenigen Künstlern sich den gebührenden Stellenwert in der Kunst wie im Leben zu erkämpfen.
Zownirs Fotokunst ein einziger Befreiungsschlag. Er darf sich zu den Geschlagenen zählen, die sich durchboxen, durchschlagen, denen zur Seiten, denen niemand sonst beispringt. Wo es in unserem staatsnormierten Saustall krass zugeht, ist Miron Zownir längst knietief mittendrin. Wo es allgemein nicht als erstrebenswert gilt, für die eigene Sache zu leiden, litt Zownir um den Preis des Verkanntseins. Und während er fotografiert hat, hat er arbeitend gelernt zu darben. Ja, darben. Denn die Frage steckt hinter jedem einzelnen Bild: Möchtest du, lieber Bildbetrachter inmitten der Unwürde Positionen beziehen, das abseitige menschliche Dasein noch als lohnens- und lobenswert ausloben? Willst du sein, was Zownir geworden ist, werden musste und im besten Sinne bis ans Ende aller Kunst bleiben wird? Ein Aufklärer? Ein Photograph? Der Filmemacher, der Schriftsteller? Immer mit vollem Einsatz. Immer als die Person inmitten der ungefilterten Reinheit. Niemals als Null-Acht-Fuffziger-Typ, künstlerischer Trittbrettfahrer, eitler Nachahmer. Und darüber hinaus bist du dann noch ein Poet wie Poe, bist ein Künder der ganz besonderen Art. Angehimmelt, in die Hölle verflucht. Der Fotograf mit Haltung. Der Mensch mit Zielsetzung in ihrer letzten Konsequenz. Der Künstler, der mit Einblicken die verspiessten, scheinheiligen, scheinmoralischen Momente der Gesellschaft geisselt, mit seinen Tun das Krasse festhält, den Finger auf den Auslöser tippt, Schwarze, ins Tabuisierte trifft; das nur schwer zu ertragende Anderssein in der Anderswelt. Von all dem, was es so unverschämt reichlich gibt, von dem Verheimlichten innerhalb unserer Gesellschaft, gibt Zownir Kunde. Das Motto bei all diesem Tun lautet ewig: schonungslos aufzeigen, mitfühlend ergründen, nichts weglassen. Im Wegsehen hinsehen. Das Unhörbare ablichten. Mit nüchternen Mitteln dem Drastischen zu Würde verhelfen.
Ich sehe in seinen Bildern den Unerschrockenen, der in seinen Lebensjahren genug Kontakt mit dem Unsagbaren geraten ist, der mit Schattendasein konfrontiert worden ist. Den es braucht. Der am eigenen Leibe gespürt hat. Ich will mich lieber von demjenigen belehren lassen, der die krassen Dinge noch zeigen kann, weil sie sich dem Schattenmann offenbaren. Man sagt, es können nur derjenige das Anderleben festhalten, der selbst ein Outsider ist, sich längst eine Philosophie zum Geschauten erobert hat, um im Tal der Schatten das irrsinnig-überflüssige Leben dingfest zu machen. Inmitten der erstickenden Tretmühle, wo das Leben sich aushaucht, nur noch surrt und röchelt. Moskau. Berlin. Bukarest. Sofia. Der einzelne Ortsname macht auf der untersten Stufe zum Elend keinen Unterschied mehr.
Zownir vergoldet die Scheisshäuser der Metropolen, würde Charles Bukowski sagen. Zownir gibt sich das Recht, den illusionären Träumen entgegen zu brüllen. Er mischt sich unter die lebendig-toten Mitmenschen. Er schlägt sich auf die verkorkste Seite der Gesellschaft, um Zeugnis abzulegen. Er durchsteht die notwendige Drecksarbeit, um verrückte-versoffene Augenblicke von Hass und Liebe einzufangen. Er gibt den stupiden Sehnsüchte im Vorraum zur Hölle ein Aussehen. Der Leichenwäscher, Toilettenmann, die Verkäuferin in der Hundefrischfleischbude und der Nachtwächter bekommen Gestalt verliehen. Die Ungestalten, formlos und verlorenen, die ihr Leben längst an den Nagel gehängt haben, Schattenwesen sind. Für den Moment verschafft der Fotograf ihnen Luft, sie zu beleuchten, die nur noch bissig, abgestumpft und instinktiv über die irdischen Existenzrunden kommen.
Zownir zeigt das Schattenleben direkt, ungeschminkt, hart und vulgär. Anders als Zownir es wiedergibt ist nun einmal die Anderwelt nicht. Wer sich unter Ihresgleichen begibt, muss acht geben, in Takt bleiben. Und Zownir mixt das Weise, das Melancholische, Liebevolle wie die Selbstironie unter all die dunklen Umstände. Und gerät dabei nicht unter die Räder. Bleibt bei aller Krassheit souverän, aufgeschossen, gutmütig, warmherzig grundiert. Gerade weil oder obwohl er das Krasse in all seinen Plattheiten ausstellt. Wir sind seine Jünger. Wir sind Betrachter. Wir bleiben aussen vor. Aber: wir dürfen länger als im Leben hinsehen, wo wir sonst nur wegsehen, flugs vorbei huschen, ohne Zownir niemals hin geraten möchten. Wir spüren, die den Bildern Zownirs eigene kindliche Schüchternheit. Wir blicken die fotografierende Ängstlichkeit aus den Fotos hervor. Wir nehmen das Besondere der fotografierten Momente wahr. Wir gehen einen Bildband lang den geheimen Bund mit Zownir ein. Auch wenn wir nicht wirklich in allen Blickweisen seiner Sicht verpflichtet sind, nehmen wie das Befremdende zur Kenntnis, um es so dann zu einem Begreifen zu führen. Denn irgendwie, irgendwann begreift jeder Betrachter der Zownir-Bilderwelt, dass der Mensch vor allem gerne übersieht.
Wir fahren ein. Es geht in den Bildertunnel, in den Bauch der Menschheit, in ihr Gedärm wie in die tiefe Grube. Unterhalb, aus dem dunklen Schattenreich, rufen die Bilder uns an. Uns ist, wenn wir die Bilder ansehen, als würde im Schattenreich eine Langspielschallplatte aus tiefen Grunde zu uns empor tönen. Zumindest spüren wir für den kurzen Fotoeinblick jeden Moment Gefahr. Wir rücken auf Zownir zu oder von ihm weg, wollen Freund mit Zownir sein, ihn als Bildübersetzer befragen, zu seiner Sichtweisheit überwechseln. Und das ist dann doch schon durchaus mehr als nur Lohn unserer Blickarbeit. Dank Zownir haben wir schon mal kurz die grosse Zehe ins Tal der Schatten zu stellen gewagt und das kleine Licht funkeln sehen.
Wir können Zownirs Kunst aber auch einmal ganz anders deuten. Wir sehen ihn selbst als einen Spiegel und haben die Geschichte aus Italien verkündet im Kopf: Ein tonnenschweren Spiegel, der Sonnenlicht ins Tal der Schatten wirft. Sieben Jahren haben die Menschen dort auf diesen Moment gewartet, sagt der Bürgermeister bewegt. Mit dem reflektierten Sonnenlicht lange auch ein Grossteil Sonnenwärme im Dorf an. Licht und Schatten, sagt er, sind unsere einzigen gesellschaftlichen Faktor. Licht ist Fröhlichkeit und die Schattenseiten des Lebens glimmen auch. Und das Beste. Der Steuerungscomputer steht bei ihm im Rathaus. Er kann das wohlige Sonnenlicht je nach Bedarf mal auf jenes Haus oder Eigenheim richten. Mehr darf sich ein Fotograf von der Wirkung seiner Bilder auch nicht erwarten.

P. Wawerzinek, 12 Januar 2011