Neid-Gedicht
Ich habe nie den Leonce-und-Lena-Preis erhalten.
Ich bin neidisch auf die Lyriker, die ihn erhalten haben.
Ich bin neidisch, obwohl ich nicht neidisch sein müsste.
Denn der Neid ist überall derselbe:
Ich bin neidisch auf die Lyriker,
die den Leonce-und-Lena-Preis erhalten haben.
Die Lyriker, die den Leonce-und-Lena-Preis erhalten haben,
sind neidisch auf die Lyriker,
die den Georg-Büchner-Preis erhalten haben.
Die Lyriker, die den Georg-Büchner-Preis erhalten haben,
sind neidisch auf die Lyriker,
die den Nobelpreis für Literatur erhalten haben.
Die Lyriker, die den Nobelpreis für Literatur erhalten haben,
sind neidisch auf das Universum,
das sie besitzen wollen
und doch niemals besitzen werden.
Denn das Universum gehört niemandem – außer sich selbst.
Darüber hinaus sind die Lyriker,
die den Nobelpreis für Literatur erhalten haben,
neidisch auf alle Menschen, die gerade tot sind.
Und alle Lyriker sind neidisch auf alle anderen Autoren,
die mit mittelmäßiger Prosa Millionen verkaufen
und Millionen verdienen.
Und alle Lyriker sind neidisch auf alle anderen Menschen,
die überhaupt nicht schreiben,
sondern ausschließlich lesen (oder leben).
***
Statt einer Widmung zu Beginn
Dieses Gedicht ist ein Gedicht,
weil ich es sage.
D. h., es wird Leute geben,
die einfältig genug sind,
zu glauben,
dass dies wirklich ein Gedicht ist.
Die Juristen werden feststellen,
es ist kein Plagiat.
Die Ökonomen werden feststellen,
es ist käuflich, aber (…)
es verkauft sich nicht.
Dieses Gedicht ist für die Rote Kapelle
und für die Weiße Rose,
für die, die keiner oder zumindest
mehr als einer Szene angehören,
und für die, die aus Überzeugung arbeitslos sind.
Es wurde geschrieben für die Mülltonnen
auf unserem kleinen präparierten (Hinter-)Hof
und für die Obdachlosen,
die in diesen Mülltonnen
nach Essbarem suchen.
Es wurde für mich geschrieben,
für meine Freundin und unser
noch nicht gezeugtes, noch totes Kind,
für den Korte-Ralf, die Reyer-Sophie
und Johannes Jansen
sowie für jene Dichter,
die mir nie ein Gedicht widmen würden
und mich ignorieren
aus purer Angst,
ihre popeligen Preise und Stipendien
mit mir teilen zu müssen.
Es ist für Rainald Goetz,
der den Büchner-Preis verdient hätte (Stand: 2011),
und auch für alle Pflanzen,
die noch durch Steine hindurchwachsen.
Für meine zwei, drei Freunde ist es,
für alle Kinder
und das Stück Himmel
über dem Boxhagener Platz,
das (noch nicht gentrifiziert)
den Aufstand ankündigt,
für Luise und Katja
und noch einmal für alle Kinder.
Ich schrieb es für Gerd Adloff
als Dank für sein Gedicht
„Dieses Gedicht ist ein Gedicht“,
das ich hiermit empfehle.
Auch ist es für meine Bücher, CDs und DVDs
und für den trockenen Rotwein,
der bei Lidl für 1,69 € erhältlich ist,
und nicht zuletzt für meinen Bruder
und für die, die noch Witze machen können,
obwohl sie sehen, was läuft.
Vor allem aber ist es für Luise,
für meine zwei, drei Freunde
und eben für Luise.
Und sagen will ich
mit diesem Gedicht,
dass ich gerne lebe
und nicht sterben will.