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DANEBEN LIEGEN oder GLEICH IM GEDICHT WOHNEN. Leonhard Lorek
legt die Leinen los


Kunst von sc.Happy
inseriert: 18.01.10
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Nö mal Nö ist gleich Nö.

Er ist über fünfzig Jahre. Er sieht aus wie ein Musiker. Bassgitarre denkt man sofort, Schlagwerk. Er könnte gut und gerne in der Band Einstürzende Neubauten spielen. Aber nein, Dichter ist er geworden. Dichtet seit nunmehr dreissig Jahren. Hat jung begonnen. Ist mit der Dichtung jung geblieben. Dichtet wie andere Leute von ihren Hunden auf Trab gehalten werden, Gassi laufen müssen. Er trägt Parka mit grosser Kapuze, in die hinein sein Jungenkopf verschwindet. Hermetischer Abschluss zur Aussenwelt kann das bedeuten, konsequent nach aussen hin zum Ausdruck gebracht: Wer da etwas von mir will, komme mir frontal.

Zur Dichterlesung in der Methfesselstrasse sitzt er an einem Tisch im Vortragsraum eines Kleinverlag, das oder die LettrÈtage ausgesprochen, je nach dem, ob man sich sprachlich deutsch oder französisch positioniert. Die Crew ist ein blutjunges Unternehmen im Auftrag der Schrift. Die Räume sind flüchtig geweisst, an die Wände bunte Autorenbilder gepinnt, über dem Kopierer reihen sich ein paar Zeitungsartikel, sieben, acht an der Zahl. Nicht sonderlich inhaltsreiche und viel zu auffällig kurze Texte. Erwähnung im Stadtmagazin. Programmhinweise. Randnotizen. Was halt so über einen erst im Jahre 2009 aus der Programmarbeit des Literaturhauses hervorgegangen Verlag zu schreiben geht, der aus Unvermögen oder in Absicht keine Pressearbeit verrichtet. Der erste verlegerischer Streich betitelt sich COVERING ONETTI.I. Zwischen den Deckeln des Sammelbandes versucht sich das Dutzend Jungautoren an dem uruguayischen Grossmeister Juan Carlos Onetti, zwingt sich getreu nach dessen Arbeitsanleitung Klaut, wenn nötig. Lügt immer Text ab. Das stolze Buch liegt nun als Ergebnis zum Verkauf auf dem improvisierten Kassentisch aus. In einem Aufsteller daneben sind kleine gelbe Heftchen versammelt, nicht viel grösser als Zigarettenschachteln mit schwarzen Bildchen darauf. So an die fünfzig Stück von Wagner über Kapielski zu Winkler. Aber es geht an diesem Abend nicht um die gelbe Serie, sondern um Leonhard Lorek, den über fünfzigjährigen Dichter, der in sein wahrhaft spätes Debüt begeht. Titel seines ganz frischen Bandes DANEBEN LIEGEN, für den der Verbrecher Verlag, Berlin die Verantwortung trägt. Er hat die Räume des Jungverlages für die Lesung genutzt. Der Chef höchst persönlich hält eine kurze Rede. Deren Inhalt im Grunde eine Ode an die ihm ins Gesicht geschriebene Freude, es geschafft zu haben. Nach Jahrzehnten. Gegen das bizarr anmutende, permanente Nö des Autoren, der alle ihm entgegengebrachten Angebote von Seiten verschiedener anderer, durchaus renommierter Verlage, strikt ausgeschlagen hat.

Dreissig Jahre Nö und nix als immer wieder Nö zu einem eigenen Buch. Nö zu den daraus erwachsenden Konsequenzen. Ein deutliches Nö an die Vermarktungen. Ein Nö der Eile, weil Dichtung braucht Zeit. Ein Nö dem Sein in der Gegenwart. Gute Gedichte wirken, wenn überhaupt, erst nach dem Ableben der Dichter. Und dabei ist noch nicht einmal raus, ob es je eine günstige Zeit für Gedichte gegeben hat, nach Lorek für Lorek geben wird. Ein dreifaches Nö an den gängigen Literaturbetrieb. Ein weiteres Nö wider den Zwängen. Nö, nö, nö also. Jahrein. Jahraus. Und gleich zu Beginn der Lesung dann auch an das Publikum, das seiner ersten öffentlichen Lesung aus dem Debütexemplar beiwohnt.

Wer etwa von den Anwesenden zu einer Dichterlesung vom Dichter vorgetragen Verse erwartet, sieht sich enttäuscht. Der Dichter beschränkt sich. Der Dichter wird im Verlauf der Lesung höchstens ein Poem vortragen. Darauf hat er sich begrenzt. Das Gedicht, das in sich den Titel für den Gedichtsband birgt, wird am Ende der Übung als Nachspeise serviert, verspricht der Dichter. Das Hauptaugenmerk bei seiner Buchpräsentation widmet der Nöhilist dem Anfangstext des Buches Wirtschaft, Tod und zehn Gedichte. Zwanzig fehlerlos vorgetragen Seiten. Vier-, fünfmal Mittun und Lachen des Publikums, danach Ruhe und Einkehr zu den vielen essayistischen Aussagen. Es geht um Engel, Ordnung, Struktur, dem Vertracktem, dem Aufwand und Nutzen, Depression, Wirtschaft, Krise, Seele, Elend, Seelenelend. Und natürlich um Rimbaud, Liebe, Kummer, Anspruch, Verlaine, Bronnen, Brecht, wie Bonbons, verschwitzte Körper, Seemänner. Die Revolution ist ein Gedöns. Höhen und Niederungen münden in Musikalität. Am Schluss weiss der Zuhörer sicher, dass Matrosen heutzutage keine Attraktion mehr darstellen, das Meer jedoch der Katalysator Nr. 1 für unsere Sehnsucht bleibt (Zitat)

seiner Weite wegen, die, anders als die des Universums, für uns als Entfernung fassbar ist, und wegen seiner Tiefe, der Abgründe wegen.

Mehrfach bekennt sich der Dichter zu dem, was ein gutes Gedichte seiner Ansicht nach ist: Calgon, Kalk lösend, Verkrustungen aufhebend.

Der Dichter hat schliesslich fertig, aus, basta. Es rumpelt im Hirn wie Waschmaschine. Der Dichter sitzt an seinem Lesetisch mit dicken Stummelbeinen, die ans Brandenburger Tor erinnern. Sitzt steif und erwartungsvoll wie eine Quadrigafigur. Das Publikum steift mit. Was das zuvor abgegebenes Versprechen anbelangt, ist Leonhard Lorek ihm noch was schuldig. Der Dichter bleibt im Wort, durchsucht nach dem Gedicht im Buch, von dem er meint, es könne von ihm öffentlich vorgelesen werden. Findet eins. Sagt von ihm, dass es anginge. Liest es. Bedankt sich. Flicht ein, dass vierzig Minuten Lesung eine Zumutung sind. Die anderen Gedichte soll sich der Leser bitte sehr allein antun. Er biete sie an und werde sich der an seinen Gedichten interessierten Person nie aufdrängen. Sich dergestalt einmischen: Nö. Jemanden mit dem ihm eigenem Tonfall und Stimmpotential vorbestimmen: Nö. Das müsse einer/eine sich schon selbst abringen. Dafür stünde er als Autor nicht zur Verfügung.

Nö als Haltung immerhin, Nö als etwas Seltenes unter Dichtern obendrein, wird ihm in der anschliessenden Diskussion vom Publikum bestätigt und dann sofort ordentlich dagegen moniert. Die grosse Leserschaft erscheine zu Lesungen, um eben die Interpretation, Modulation des Dichters zu vernehmen. Man möchte doch hören, fühlen, aufnehmen, sich erschrecken oder einlullen lassen. Man habe ein Recht darauf, beim Vortrag in Sprache zu versinken, behaart ein Frau aus der Zuhörerschaft. Man will eine Stimmung insgesamt mit nach Hause bringen. Man möchte Daheim angelangt doch das Erlebte ins Verhältnis zur eigenen Interpretation setzen können. Die Dichter dürfen sich verdammt nicht so eitel zieren, kokettieren, sondern sollen artikulieren, intonieren, flüstern, tönen, die Zunge führen.

Nö, sagt Lorek abermals. Darum gehe es ihm eben nicht.

Und betet wie gehabt, dass ein Gedicht zu wirken habe wie beispielsweise Calgon. Man müsse nur genügend Calgon in Gedichtsform zu sich nehmen, um genügend Gedichtscalgon parat zu haben, wenn die Verkrustungen nach Calgon und Dichtung schreien. So geht die Lesung schliesslich aus. Herzlicher Beifall für all das schöne Drumherum um die lorekschen Nös. Der Frau steht nach Lesung und Diskussion noch ein Weile die Frage ins Antlitz geschrieben, wie ein dichtender Mensch nur so hartnäckig und stur daneben liegen kann.

Dann gibt sich das bei der Frau sehr rasch.

Ein Buch mehr ist in dieser Welt.

Eines mit Gedichten, als ob die es nicht so schon schwer genug haben.

Empfohlen von Ihrem Apotheker oder dem Lit-Arzt Peter Wawerzinek

Leonhard Lorek
daneben liegen
144 Seiten
Hardcover
für 19,00 Ä

Verbrecher Verlag Berlin

So viel wie ich weiss, hat Fontane erst mit viel mehr Jahren auf dem Buckel angefangen. Aber wer ist Fontane, bitteschön.

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