vor Paulus Böhmer
Ich dachte an die vielen Morde ...
die im In und im Ausland ...
Graf Schwerin von Schwanenfeld
Was die mit Preisen und
Stipendien ausgezeichne
ten, die mit Poetikdozen
turen bedachten oder vom
Feuilleton gelobten (über
120) deutschsprachigen
Lyriker meiner Generation
in ihrer sogenannten zeit
genössischen Lyrik nicht
erwähnen, das ist das ei
ne Kind unter zehn Jah
ren, das alle fünf Sekun
den verhungert; das ist
der eine Mensch, der alle
vier Minuten wegen Man
gel an Vitamin A das Au
genlicht verliert, das sind
die über 100.000 Men
schen, die jeden Tag an
Hunger oder seinen un
mittelbaren Folgen ster
ben, das sind die 828
Millionen Kinder, Män
ner und Frauen, die letz
tes Jahr permanent
schwerstens unterer
nährt waren, das sind die
12 Milliarden Menschen,
die die Weltlandwirtschaft
heute problemlos ernäh
ren könnte (aus der Zeit
achse fällt alles Fleisch),
das ist die nordamerika
nische Finanzoligarchie,
die 24% des WeltBrutto
sozialprodukts, 41% des
Welthandelsvolumens
und 53% des Weltener
giemarktes beherrscht,
das sind die 42% aller
Militärausgaben der
Welt, die die USA Jahr
für Jahr tätigen, das ist
der inzwischen nur noch
zweitreichste Mann der
Erde, Bill Gates, der so
viel Geld besitzt wie die
ärmsten 120 Millionen
USBürger zusammen,
das sind die Hunderte
von Millionen, die jedes
Jahr an den Folgen von
Krankheiten und Epidemien
sowie den Mangelerschei
nungen, die auf schwere
Unterernährung zurück
zuführen sind, sterben,
das sind die 2,7 Milliarden
Menschen, die unterhalb
der Armutsgrenze von we
niger als zwei USDollar
pro Tag leben (ich kann
mir an den Kopf fassen,
kann mich aber nicht als
Gehirn begreifen), das
sind die reichsten 1% der
Weltbevölkerung, die 40%
des Weltvermögens kon
trollieren, das ist die ärm
ste Hälfte der Weltbevöl
kerung, die nur 1% des
Weltvermögens besitzt,
das sind die 2,6 Milliarden
Menschen und damit fast
zwei Fünftel der Weltbe
völkerung, die keinen Zu
gang zu Sanitäranlagen
haben, das sind der Man
gel an sauberem Wasser,
fehlende Sanitäranlagen
und schlechte Hygiene,
die jährlich etwa 1,5 Milli
onen Kindern unter fünf
Jahren das Leben kosten,
das sind die 500 grössten
multinationalen Konzerne
der Welt, die 52% des Welt
bruttosozialprodukts, also
die Hälfte aller auf der Welt
erzielten Reichtümer, be
herrschen (kein König, Kai
ser oder Papst hat jemals
so viel Macht besessen),
das sind die 176 Kinder
unter sieben Jahren, die
innerhalb von zwei Stun
den an Hunger sterben,
das sind die 49 ärmsten
Länder der Welt, die im
letzten Jahr eine Auslands
schuld von 2.100 Milliarden
Dollar auszuweisen hatten,
das sind die 30 Millionen
Menschen, die jährlich ver
hungern (im Vergleich dazu
tauchen die über 3.000 Men
schen aus 62 Nationen, die
innerhalb von drei Stunden
am 11. September 2001 in
New York ermordet wurden,
in keiner überregionalen Mor
talitätsstatistik auf), das sind
Hunger, Seuchen, Durst und
armutsbedingte Lokalkonflik
te, die jedes Jahr fast genau
so viele Männer, Frauen und
Kinder dahinraffen wie der
Zweite Weltkrieg in sechs
Jahren, das sind die sieben
Millionen Menschen, die auf
grund mangelhafter Ernäh
rung oder infolge von Krank
heiten jedes Jahr erblinden,
das ist das Wissen der Welt
(über die Welt), das sich alle
fünf bis zwölf Jahre verdop
pelt, (Notiz an mich: Ab dem
30. Lebensjahr verdoppelt
sich auch, egal an welchem
Ort der Erde, ca. alle 9 Jah
re das Risiko zu sterben),
das sind die vielen Billionen
Menschen, die tot sind, seit
es Menschen gibt (ginge es
demokratisch zu, müsste
man Wahlbenachrichtigun
gen an die Friedhöfe dieser
Welt schicken), das sind die
mit Preisen und Stipendien
ausgezeichneten, die mit Po
etikdozenturen bedachten
oder vom Feuilleton gelobten
(über 120) deutschsprachigen
Lyriker meiner Generation
selbst (denn ich will hier
niemanden mit Zahlen lang
weilen), die sich in ihrer
sogenannten zeitgenössi
schen Lyrik nicht erwähnen.