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Peter Wawerzinek: Die letzte Buchung


Kunst von sc.Happy
inseriert: 26.10.23
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„Es ist nach der Erntezeit oder davor.“ Zu seinem 69. Geburtstag am 28. September erscheint Peter Wawerzineks dichterisches Debüt: Die letzte Buchung. Gedichte aus über fünfzig Jahren, komponiert zur Schiffsreise eines Matrosen, der nie auf See ging. Hier singt ein Heizer unter Deck, ein Mülltonnenabgraser, ein Chemiearbeiter, ein einziger Gast am Stammtisch, ein lyrischer Doppelgänger von Edi Endler, ein minderjähriger Zombie, ein Frühreifer, ein ältester Mann der Welt. Hier spricht und singt es aus dem Maschinenraum, der sich Leben nennt. Bei der Lektüre dieser Gedichte lässt sich lernen, wie man schwebt: „Erst den Flugschein kaufen, dann die Revolution anzetteln.“
66 Seiten

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Kunstartikel von sc.Happy

Kommentare: 3

♦ 21.11.23   15:22:22
André Dahlmeyer

Hoer von fern, wie es singt

Lyrik: Peter Wawerzinek, quietschfidel wie eh und je

Von André Dahlmeyer, Crivitz

Erinnern Sie sich noch an die Unabhaengige Verlagsbuchhandlung Ackerstrasse in Berlin-Mitte? Gelegen am Koppenplatz war dort einer der ersten neuen (offiziellen) unabhaengigen Buchverlage der DDR, gegruendet nach der Wende von dem Ehepaar Oehme, angesiedelt. Deren Buchhandlungskneipe hiess Village Voice. 1991 erschien dort Moppel Schappiks Taetowierungen von Peter Wawerzinek, ein Buch das mich umhaute. Das letzte Buch dort war 1993 Keynkampf, von Key Pankonin, dem Saenger der Ich-Funktion, der damals besten Ostpunkband (der Saenger trat in Sandalen auf). Dann uebernahm Oehme die Verlage Eulenspiegel und Das Neue Berlin, die tolle UVA war schon wieder Geschichte. Wawerzineks Taetowierungen waren so besonders fuer mich, das es der Band bei meiner Auswanderung bis in meine Wahlheimat Argentinien schaffte, obgleich ich ansonsten nur Buecher mitnahm, nach und nach, die ich noch nicht gelesen hatte. (Alle anderen, zirka 5.000, verschenkte ich.) Dort steht er neben der Luchterhand-Erstausgabe von Paul-Gerhard Huebsch, Mach was du willst, und stinkt bis heute in meinen heiligen Hallen gegen das subtropische Klima an (auch wenn ich seit juengstem die Ostsee und ueberhaupt das mecklenburgische sehr zu schaetzen gelernt habe).

Spaeter traf ich Schappi, wie Wawerzinek mittlerweile genannt wurde, hin und wieder bei meinen naechtlichen Streifzuegen durch die grasovkagetraenkten Strassen des Prenzlauer Bergs, in der Regel zu unwirtlichen Zeiten, weil wieder immer noch die Wirte schlapp gemacht hatten. Meist hopste er herum wie ein tollkuehner Flummi, man bekam sofort gute Laune. Am schoensten war jedoch, jedenfalls fuer mich, das mich dieser Sportsfreund nie mit Literatur vollmasselte. Ich ging raus, wenn mir die Literatur bis zum Halse stand, ich Luft brauchte. Ich kannte keine Dichter (in Berlin), wollte auch keine kennenlernen (jedenfalls nicht in ihrer Funktion als Dichter) und vor allem nicht meine Zeit damit verplempern auch noch ueber die eigene Hirnwichse zu diskutieren oder sich gegenseitig auf die Schultern zu kloppen. Es gab wichtigeres. Dazu gehoerte Menschen zu treffen, die auch nicht schlafen konnten oder es zu Hause nicht aushielten. Wo, wann und wie war voellig wurscht. Es zaehlte das Jetzt. Und der Hot Dance.

Damals hoffte ich instaendig, das Wawerzinek nicht auch mit einem dieser Schwachmatenpreise fuer sogenannte Ost-Dissidenten ueberhaengt wuerde um sie wegzujubeln wie einst Thomas Brasch plus Nachwende. Das Schappi ab 2010 triumphierte ist mehr als gerecht. Es war ein anderer Kontext und das es bei Rabenliebe wieder um die DDR ging, was soll´s, niemand kann sich seine Herkunft aussuchen. „Ich kann nicht Antistaat mimen, wie es der Müllerheiner tat oder der Johnson versucht hat dran zu zerbrechen. (...) Ich gebe in meinem oheimlosen Kurzleben für keinerlei Deutschland den kämpferisch Wallraff oder Castorfbrussig“, schrieb Wawerzinek 2001 im Freitag. Niemand schlug solche Toene an. Das war was.

Praktisch alle Buchstabenschmiede schreiben autobiographisch. Die meisten verkleistern es, lassen ihre Erfahrungen und Gedanken in ihren Textausduenstungen anderen angedeihen um sich zu verstecken, schon wegen dem boesen Ich-Erzaehler. Wawerzinek? Haelt die autobiographische Fahne hoch, beharrt darauf, stimmen wird nicht alles, muss es auch nicht. Kann es auch nicht. Ist er der grosse Fachmann in Sachen Saufen im Sozialismus? Schwerter zu Zapfhaehnen? Wie bloed koennen Menschen sein. Wawerzinek hat ueber Wurzelbehinderungen geschrieben, das tragikomisch, ein grosser Verdienst. Roland Adelmann war ein Trinkhallengutachter, Joerg Fauser ein Frittenbudenfeldforscher, Wawerzinek ist ein Heimatdichter, ein Stegreifpoet wie Kapielski. Meinetwegen auch ein „Wanderdichter“. Oder doch ein Baenkelsaenger? Schublade zu, Affe tot.

Am 28. September ist Wawerzinek 69 geworden. Aus diesem Anlass hat der Schweizer Engeler Verlag (dort erschienen auch Elke Erb, Bert Papenfuss, Wolfgang Schlenker et cetera) in seiner Reihe roughbooks, die seit 2010 erscheint, den ersten Lyrik-Band Wawerzineks ever mit dem Titel Letzte Buchung herausgebracht. Der Band ist schmal, monochrom und hat ein eher existentialistisches Outfit, was gleichermassen angenehm wie auch kalt wirkt. Kein Inhaltsverzeichnis, keine Angaben zum Autor. Einige Texte sind sehr kurz, Aphorismen und Momentaufnahmen, es sind die schwaecheren. Uhren und Zeit sind ein scheinbar nebenlaeufiges Thema, der gute alte Schnitter. Leben oder Ueberleben. Ruhe und Stille. Wawerzinek macht klar, das mit dem Zeigefinger zu tippen nicht gleichbedeutend damit ist ihn zu erheben, stirnzubohren. Schon im Prolog heisst es: „Moechte Sophie heissen ...“ Meint er die Kaeltesophie, die von Helga M. Novak?

Die Gedichte sollen eine Auswahl aus 50 Jahren sein. Laesst sich so an. Um das chronologische zu persiflieren hat der Schelm Wawerzinek daraus ein Konzeptalbum gemacht. Da nur ich es bemerkt habe, funktioniert es. „Das leise Kloeppeln in den Rohren“ erinnert an Knast, Verlies, ans Eingemauertsein. Oder, wie Erich Fried mal sinngemaess meinte: Wir sind alle verdammt zu lebenslanger Einzelhaft in unseren eigenen Koerpern. Laut MDR soll Schappi, der aktuell in Magdeburg haust, dort noch sieben oder acht Buecher fabrizieren wollen. Ich wuensche mir Sonette im Zappa-Style!

Peter Wawerzinek: Letzte Buchung, Gedichte ISBN 978-3-906050-94-2

André Dahlmeyer

♦ 06.11.23   19:37:01
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(!!!)

♦ 26.10.23   18:51:57
bookShopper

Bin gespannt!